Viele Kulturpflanzen erzeugen Gifte zur Verteidigung gegen Fraßfeinde, deren Gehalte durchaus gesundheitsschädlich sein können. Bittere Blausäure (Cyanwasserstoff), die Pflanzenfresser abschrecken soll, wird von einigen wichtigen Kulturpflanzen gebildet: von Mais, Maniok, Lima-Bohnen oder auch einigen Leguminosen. Blausäure wirkt auf die
Atmungskette in den Mitochondrien der Zelle – die Cytochrom-
c-Oxidase wird irreversibel gehemmt und die Atmungskette kommt zum Erliegen. Der Hauptangriffsort ist das Gehirn.
Linamarin, das cyanogene Glykosid des Manioks
Maniok, die nach Weizen und Reis drittwichtigste Nahrungspflanze der Welt, wird besonders in eher armen subsaharischen und tropischen Ländern Afrikas angebaut und enthält von Natur aus hohe Gehalte an Blausäure. In der Zelle liegt es als Linamarin, einer zuckerhaltigen Vorstufe, vor. Aus dieser „cyanogenes
Glykosid“ genannten Verbindung wird bei Verletzung Blausäure gebildet, wenn zelleigene Enzyme das Gift durch „Cyanogenese“ aus dem Vorstufenmolekül abspalten.
Die „süßen“ Manioksorten enthalten 20 mg Blausäure pro Kilogramm Frischwurzelmasse, die bitteren Sorten sogar 1000 mg je kg – beide Werte liegen weit über dem von der WHO empfohlenen Wert von 10 mg je kg. Bei Dürre und Trockenheit können die Gehalte noch höher liegen. Eine aufwendige Aufbereitung der Wurzeln durch lang andauerndes Trocknen und ausgasen-lassen, oder auch langes Auskochen kann den Blausäuregehalt auf verträglichere Werte senken, die oft aber immer noch nicht den WHO-Grenzwert unterschreiten. Tritt eine akute Vergiftung auf, beobachtet man vor allem neuronale Effekte, wie Paralyse und Sehstörungen, die als
Konzo bekannt geworden sind. Über das Viehfutter wurden auch schon Tiere vergiftet, 40 mg des reinen Linamarins reichen aus, um eine Kuh zu töten.
Die Bauern sind wieder in einer Zwickmühle, denn die bitteren Sorten sind zwar durch ihre natürlichen Pestizide weniger anfällig gegenüber Schädlingen, produzieren aber giftigere Knollen, die aufwendig weiterverarbeitet werden müssen. Trotzdem ist das Auffinden von Sorten mit besonders geringen Blausäure-Gehalten ein Forschungsvorhaben mit höchster Priorität.
Neue Methoden zur Identifikation von nicht-cyanogenen Mutanten
ScienceDaily berichtet, dass nun eine billige und hocheffiziente Screening-Methode gefunden wurde, um Pflanzen zu identifizieren, deren Biosynthesewege für Blausäurehaltige Glykoside bzw. deren Katabolismus defekt ist. Diese Pflanzen wiesen Mutationen in bestimmten Genen des Stoffwechselns cyanogener Glykoside auf. Aus den gefundenen Individuen könnte man neue Sorten züchten, deren Pflanzen die gewünschte Eigenschaft durchgängig aufweisen. Mit dem beschriebenen Test konnten sogar Pflanzen gefunden werden, die nur in bestimmten Pflanzenteilen Blausäure produzieren, und dort eine hohe natürliche Schädlingsresistenz aufweisen.
Wirklich beeindruckend ist, wie viele Pflanzen mit Hilfe dieses einfachen Verfahrens getestet wurden. 40.000 Pflanzen der Modellpflanze
Lotus japonicus wurden innerhalb von 10 Tagen gescreent, wobei man am Ende 44 Cyanogenese-defiziente Pflanzen identifizieren konnte. Praktisch wurde das mit Mikrotiterplatten bewerkstelligt, also Plastikplatten mit z.B. 96 Vertiefungen. In die Vertiefungen kamen die Pflanzenteile, die gefroren und wieder aufgetaut wurden – damit wird das Gewebe zerstört und die Cyanogenese kann stattfinden. Auf die Mikrotiterplatten wurde dann ein Indikatorpapier (Feigl-Anger-Papier) gelegt, welches sich in Anwesenheit von Blausäure blau verfärbt, bzw. je nach Blausäuregehalt unterschiedlich stark gefärbt wird.
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Linke Seite: Mikrotiterplatte mit L. japonicum-Blättern in den Vertiefungen,
rechte Seite: Dazugehöriges Indikatorpapier. In Spalte 4 liegt eine
Cyanogenese-defiziente Mutante vor, die keine Blausäure produziert |
Die nach zwei Durchgängen gefundenen Kandidaten wurden umgetopft und nach zwei Monaten wurde sich neu entwickelnde Blätter weitere zwei Male getestet. Die Pflanzen, deren Gewebe immer noch keine Blausäureproduktion aufwiesen, wurden daraufhin genetisch untersucht und klassifiziert und anhand ihres metabolischen Profils charakterisiert. Die ganzen Details finden sich im verlinkten Paper.
Auf diese Weise könnten auch andere Nahrungspflanzen für die Entwicklung blausäurearmer Sorten getestet werden. Auf jeden Fall können wir uns merken, dass die „natürliche“ Abwehr im Fall vom Maniok etwas ist, was man auf jeden Fall vermeiden will.
Quellen
John Innes Centre (2010, August 18). Screening crop plants for toxins.
ScienceDaily. Retrieved August 26, 2010, from
sciencedaily.com
Takos, A., Lai, D., Mikkelsen, L., Abou Hachem, M., Shelton, D., Motawia, M., Olsen, C., Wang, T., Martin, C., & Rook, F. (2010). Genetic Screening Identifies Cyanogenesis-Deficient Mutants of Lotus japonicus and Reveals Enzymatic Specificity in Hydroxynitrile Glucoside Metabolism THE PLANT CELL ONLINE, 22 (5), 1605-1619 DOI: 10.1105/tpc.109.073502
Viele Kulturpflanzen erzeugen Gifte zur Verteidigung gegen Fraßfeinde, deren Gehalte durchaus gesundheitsschädlich sein können. Bittere Blausäure (Cyanwasserstoff), die Pflanzenfresser abschrecken soll, wird von einigen wichtigen Kulturpflanzen gebildet: von Mais, Maniok, Lima-Bohnen oder auch einigen Leguminosen. Blausäure wirkt auf die
Atmungskette in den Mitochondrien der Zelle – die Cytochrom-
c-Oxidase wird irreversibel gehemmt und die Atmungskette kommt zum Erliegen. Der Hauptangriffsort ist das Gehirn.
Linamarin, das cyanogene Glykosid des Manioks
Maniok, die nach Weizen und Reis drittwichtigste Nahrungspflanze der Welt, wird besonders in eher armen subsaharischen und tropischen Ländern Afrikas angebaut und enthält von Natur aus hohe Gehalte an Blausäure. In der Zelle liegt es als Linamarin, einer zuckerhaltigen Vorstufe, vor. Aus dieser „cyanogenes
Glykosid“ genannten Verbindung wird bei Verletzung Blausäure gebildet, wenn zelleigene Enzyme das Gift durch „Cyanogenese“ aus dem Vorstufenmolekül abspalten.
Die „süßen“ Manioksorten enthalten 20 mg Blausäure pro Kilogramm Frischwurzelmasse, die bitteren Sorten sogar 1000 mg je kg – beide Werte liegen weit über dem von der WHO empfohlenen Wert von 10 mg je kg. Bei Dürre und Trockenheit können die Gehalte noch höher liegen. Eine aufwendige Aufbereitung der Wurzeln durch lang andauerndes Trocknen und ausgasen-lassen, oder auch langes Auskochen kann den Blausäuregehalt auf verträglichere Werte senken, die oft aber immer noch nicht den WHO-Grenzwert unterschreiten. Tritt eine akute Vergiftung auf, beobachtet man vor allem neuronale Effekte, wie Paralyse und Sehstörungen, die als
Konzo bekannt geworden sind. Über das Viehfutter wurden auch schon Tiere vergiftet, 40 mg des reinen Linamarins reichen aus, um eine Kuh zu töten.
Die Bauern sind wieder in einer Zwickmühle, denn die bitteren Sorten sind zwar durch ihre natürlichen Pestizide weniger anfällig gegenüber Schädlingen, produzieren aber giftigere Knollen, die aufwendig weiterverarbeitet werden müssen. Trotzdem ist das Auffinden von Sorten mit besonders geringen Blausäure-Gehalten ein Forschungsvorhaben mit höchster Priorität.
Neue Methoden zur Identifikation von nicht-cyanogenen Mutanten
ScienceDaily berichtet, dass nun eine billige und hocheffiziente Screening-Methode gefunden wurde, um Pflanzen zu identifizieren, deren Biosynthesewege für Blausäurehaltige Glykoside bzw. deren Katabolismus defekt ist. Diese Pflanzen wiesen Mutationen in bestimmten Genen des Stoffwechselns cyanogener Glykoside auf. Aus den gefundenen Individuen könnte man neue Sorten züchten, deren Pflanzen die gewünschte Eigenschaft durchgängig aufweisen. Mit dem beschriebenen Test konnten sogar Pflanzen gefunden werden, die nur in bestimmten Pflanzenteilen Blausäure produzieren, und dort eine hohe natürliche Schädlingsresistenz aufweisen.
Wirklich beeindruckend ist, wie viele Pflanzen mit Hilfe dieses einfachen Verfahrens getestet wurden. 40.000 Pflanzen der Modellpflanze
Lotus japonicus wurden innerhalb von 10 Tagen gescreent, wobei man am Ende 44 Cyanogenese-defiziente Pflanzen identifizieren konnte. Praktisch wurde das mit Mikrotiterplatten bewerkstelligt, also Plastikplatten mit z.B. 96 Vertiefungen. In die Vertiefungen kamen die Pflanzenteile, die gefroren und wieder aufgetaut wurden – damit wird das Gewebe zerstört und die Cyanogenese kann stattfinden. Auf die Mikrotiterplatten wurde dann ein Indikatorpapier (Feigl-Anger-Papier) gelegt, welches sich in Anwesenheit von Blausäure blau verfärbt, bzw. je nach Blausäuregehalt unterschiedlich stark gefärbt wird.
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Linke Seite: Mikrotiterplatte mit L. japonicum-Blättern in den Vertiefungen,
rechte Seite: Dazugehöriges Indikatorpapier. In Spalte 4 liegt eine
Cyanogenese-defiziente Mutante vor, die keine Blausäure produziert |
Die nach zwei Durchgängen gefundenen Kandidaten wurden umgetopft und nach zwei Monaten wurde sich neu entwickelnde Blätter weitere zwei Male getestet. Die Pflanzen, deren Gewebe immer noch keine Blausäureproduktion aufwiesen, wurden daraufhin genetisch untersucht und klassifiziert und anhand ihres metabolischen Profils charakterisiert. Die ganzen Details finden sich im verlinkten Paper.
Auf diese Weise könnten auch andere Nahrungspflanzen für die Entwicklung blausäurearmer Sorten getestet werden. Auf jeden Fall können wir uns merken, dass die „natürliche“ Abwehr im Fall vom Maniok etwas ist, was man auf jeden Fall vermeiden will.
Quellen
John Innes Centre (2010, August 18). Screening crop plants for toxins.
ScienceDaily. Retrieved August 26, 2010, from
sciencedaily.com
Takos, A., Lai, D., Mikkelsen, L., Abou Hachem, M., Shelton, D., Motawia, M., Olsen, C., Wang, T., Martin, C., & Rook, F. (2010). Genetic Screening Identifies Cyanogenesis-Deficient Mutants of Lotus japonicus and Reveals Enzymatic Specificity in Hydroxynitrile Glucoside Metabolism THE PLANT CELL ONLINE, 22 (5), 1605-1619 DOI: 10.1105/tpc.109.073502
Blausäure in Kulturpflanzen und effiziente Erkennung von besseren Sorten
Ein schöner und interessanter Artikel. Das wäre ein schöner Blogpost für "research blogging" geworden. Naja das nächste Mal...
AntwortenLöschenIch hab jetzt versucht, mich da anzumelden ...
AntwortenLöschenUnd jetzt ist der Post nachträglich bei Researchblogging importiert.
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