Donnerstag, 17. Juni 2010

Babys homöopathisch misshandeln (ELTERN-Zeitschrift 7/2010)

Die Eltern-Zeitschrift wirbt auf dem Titel ihrer aktuellen Ausgabe (07/2010) „Babys homöopathisch behandeln“. Im zugehörigen Artikel wird wieder einmal völlig unkritisch mit homöopathischen Heilsversprechen umgegangen. Nach einem kurzen Abriss über das Selbstbild der Homöopathen gibt es eine Reihe von Tips, welche Mittelchen bei welchen Beschwerden helfen und wann man zum Arzt gehen sollte. Kein Wort davon, wie Homöopathika hergestellt werden und dass in Globuli und Tropfen zumeist kein Wirkstoff mehr enthalten ist. 

Warum sind diese „alternativen“ Heilmethoden in letzter Zeit so in Mode gekommen? Warum sind sie offenbar besonders bei Eltern junger Kinder so beliebt?

Ich erkläre es mir so: Eltern sind ständig um das Wohlergehen ihrer Kinder besorgt, dabei  hat die konventionelle Medizin den Ruf, eine „Fließbandabfertigung“ ohne Aufmerksamkeit für die persönlichen Bedürfnisse der Patienten zu praktizieren. Konventionelle Medikamente („Chemie“) haben den Ruf, viele Nebenwirkungen zu haben und den Körper unnötig zu belasten.

Die Selbstmedikation mit homöopathischen Arzneimitteln kommt da wie gerufen – diese werden als „natürlich“, „sanft“ und „nebenwirkungsfrei“ angepriesen. Dazu sind sie auch noch relativ günstig und man spart sich den stressigen Besuch beim Arzt.

Dabei halten Homöopathika keines von diesen Versprechen. Homöopathie hat mit Naturheilkude überhaupt nichts zu tun, Samuel Hahnemann hat sie sich im 18. Jahrhunder ausgedacht. Damals wusste er und niemand etwas über Infektionserreger und Hygiene, Hormone, das Immunsystem oder Biochemie. Seine Theorien mögen für die damalige Zeit fortschrittlich gewesen sein – da aber in den letzten 200 Jahren kein Wirksamkeitsbeweis erbracht werden konnte, müssen sie heute als überholt gelten. Wenn einem Kind bei einer ernsthaften Erkrankung eine wirksame Behandlung vorenthalten wird, muss es unnötig leiden. Auch wird man einem kranken Kind nie ein ungetestetes Medikament verabreichen wollen, bei Homöopathika wird auf diese Tests einfach verzichtet.

Viele Beschwerden verflüchtigen sich, wenn man einfach abwartet und die Selbstheilungskräfte des Körpers walten lässt – eine Erkältung etwa ist in der Regel nach ein paar Tagen vorbei. Die einzige Alternative zum Abwarten ist der Arztbesuch, und nicht das verabreichen wirkungsloser Mittel. Hier ist die Gefahr, dass man die Schwere der Erkrankung verkennt und sich zu spät dem Mediziner vorstellt. Entsprechend sind neben einer Milchzuckerunverträglichkeit Globuli nicht nebenwirkungsfrei. Das Ausbleiben einer Behandlung kann sehr wohl Effekte haben. Ich empfehle zum Thema die Reihe „Kindesmissbrauch durch alternative Heilmethoden“ (Teil 1, 2, 3, 4) im Esoblog.

Man muss dem Artikel zugute halten, dass er sich auf kleinere Probleme (etwa Windelwundsein oder Durchfall) beschränkt und schwerere Erkrankungen wie Mittelohrentzündung etc. gar nicht erst thematisiert. Auch wird der Arztbesuch nahegelegt, wenn die Symptome zu stark werden. Trotzdem wird komplett verschwiegen, dass in den Präparaten keine Wirksubstanzen enthalten sind und seit 200 Jahren ein Wirksamkeitsnachweis aussteht. Ich erwarte, dass man mit mir als Leser ehrlich umgeht und über die Hintergründe der Homöopathie aufklärt (Bei Gedankenabfall: Weshalb Homöopathie Humbug ist).

Rechnet man realistischerweise mit dem Preis für reinen Milchzucker, sind homöopathische Globuli plötzlich nicht mehr „günstig“, sondern vergleichsweise teuer. Milchzucker kann man beim Carl-Roth-Versand im Kilogramm-Gebinde kaufen (€ 14,40). Noch einfacher wird es natürlich mit sauberem Wasser, das meist aus der Leitung kommt und gegenüber homöopathischen Tropfen unschlagbar günstig ist.

(Ich werde diesen Blogeintrag noch zu einer Mail an die Eltern-Redaktion umwursten und die Antwort hier einstellen.)

Bildquelle

Titelbild der aktuellen Ausgabe (07/2010) von Eltern.de: Seite „Abo bestellen

Mailkorrespondenz mit der Eltern-Redaktion

Nachdem ich der Eltern-Redaktion am 17. Juni meine Bedenken mitgeteilt habe (im Wesentlichen oben geschildert), bekam ich heute von Sabine Lotz eine Antwort. Ich darf ihre Mail jedoch aus „rechtlichen Gründen“ nicht hier veröffentlichen, weshalb ich ihn inhaltsgemäß im Folgenden wiedergebe.

Frau Lotz dankt mir für mein ausführliches Schreiben. Sie schreibt, dass ihr die „Kritikpunkte“, die ich aufzählen würde, bekannt seien, aber es auch eine Menge Befürworter dieser „Medizinrichtung“ gäbe. Darunter seien auch seriöse Ärzte. Zu beurteilen, wer Recht hätte, könne man sich nicht erlauben. Der Eltern-Redkation wäre es außerdem ein Anliegen, „Eltern, deren Kinder unter leichteren Beschwerden leiden, eine Selbsthilfemöglichkeit an die Hand zu geben“, wobei ein Artbesuch bei schweren Fällen unerlässlich sei.

Ich antwortete:
Sehr geehrte Frau Lotz,

ich bedaure, dass Sie mein Schreiben derart gründlich fehlinterpretieren.

Mir ging es in keiner Weise darum, die Homöopathie zu kritisieren, sondern den Umgang mit zweifelhaften medizinischen Methoden in Ihrem Heft.

Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass Homöopathie besser wirkt als ein Plazebo. Wenn Sie mit ELTERN der Pseudo-Wissenschaft unreflektiert ein Forum bieten wollen, tut mir das sehr leid. Es offenbart einen unkritischen Umgang mit den Fragen, die in dem Heft behandelt werden – das muss ich von nun an auch bei den anderen Artikeln im Hinterkopf behalten.

Ich denke, Sie sind es Ihren Lesern schuldig, sie über die Homöopathie-Hypothese aufzuklären, wenn Sie darüber berichten, sodass sie sich selbst ein Urteil bilden können. Dass Sie es sich aber umgekehrt ganz einfach machen und auf die Autorität der Ärzte als Messlatte heranziehen, lässt mich nur vermuten, dass Sie selbst eine gründliche Hintergrundrecherche unterlassen haben. Es zeigt, dass Sie sich selbst eben kein Urteil gebildet haben, wie Sie in Ihrer Mail ja auch ganz offen zugeben.

Wie kann man einerseits Ratschläge verteilen und sich andererseits über die Ratschläge kein Urteil gebildet haben? Sind Sie bei allen im Heft behandelten Themen so unkritisch?

Um kurz auf den Inhalt Ihrer Mail einzugehen: Sie argumentieren mit der Akzeptanz der Methode durch „zahlreiche seriöse Ärzte“, unterschlagen aber, inwiefern das die Validität der Methode beweisen soll. Ich bezweifle, dass Sie verlässliche Zahlen über die „Akzeptanz“ unter Ärzten haben, und wenn doch, würde das immer noch nichts beweisen. Ein Arzneimittel hat sich in klinischen Studien hinsichtlich der Wirksamkeit und der Sicherheit zu behaupten, und wird nicht an der Beliebtheit gemessen. Hätten wir uns diese Philosophie zu Eigen gemacht, würde wir noch heute Aderlässe praktizieren!

Kein *seriöser* Arzt wendet Homöopathie [an], außer er will seinen Patienten täuschen.

Mit freundlichen Grüßen
Martin ***

8 Kommentare:

  1. Danke für Deine Initiative. Bin gespannt, was noch kommt. Empörend ist an sich, dass der Artikel nicht eine Flut Protestbriefe seitens der Ärzteschaft provoziert hat.

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  2. Bei der Drogeriemarktkette mit dem D und dem M kostet das Paket Milchzucker unter 3 €.
    Ansonsten freut es mich immer wieder wenn Leute aktiv dem Eso-Gedöns entgegentreten - speziell, wenn es um Homöoschallalie geht!

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  3. Homöopathie für Kinder ist - ungeachtet der damit verbundenen medizinischen Problematik - in erster Linie Placebo-Therapie für die Angstzustände naiver Eltern, die meist hilflos dem Markenting-Geschrei der alternativen Heiler- und Pharmabranche ausgeliefert sind.

    Und ein wesentlicher Bestandteil dieser absatzfördernden Breitband-Verdummung durch Wala, Weleda, DHU oder wie sie alle heißen,
    ist eine inkompetente Journaille, die kritiklos jeglichen Schmonzes aufbereitet.

    "Scheiße schön schreiben", nennt man diese Anbiederungen an die Rezipienten. Mit seriösen Journalismus hat das nichts mehr zu tun.

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  4. Ein Schelm, wer böses dabei denkt: Zu dem Artikel gesellen sich links und rechts Anzeigen von Weleda-Homöopathika und „Arzneien“ nach Dr. Schüßler.

    Ich find's außerdem komplett unhöflich, dass mir als Leser und Abonnenten so wenig Zuwendung zuteil wird. Frau Lotz stellt sich stur und meint, dass sie alles gesagt hätte. Dabei ist sie mit keinem Wort auf meine Bedenken eingegangen. Dazu untersagt sie mir die Veröffentlichung der Mail ohne Freigabe „aus rechtlichen Gründen“.

    Ich frag nochmal nach.

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  5. Sehr guter Beitrag, dran bleiben und nicht locker lassen. Der Globulisierung muss Einhalt geboten werden!

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  6. Zitat:"Man muss dem Artikel zugute halten, dass er sich auf kleinere Probleme (etwa Windelwundsein oder Durchfall) beschränkt "

    Durchfall kann bei Babys recht schnell zu Austrocknung führen und damit ebenfalls gefährlich werden.

    "Es offenbart einen unkritischen Umgang mit den Fragen, die in dem Heft behandelt werden – das muss ich von nun an auch bei den anderen Artikeln im Hinterkopf behalten."

    So ist es. Leider auch bei vielen anderen Medien.
    Danke für diesen "Gedankenabfall" und für die E-Mail an Eltern. Steter Tropfen höhlt den Stein. Hoffen wir, dass es mi der Zeit etwas nutzt und die Leute umzudenken beginnen.

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  7. Danke für die netten Worte! Die Durchfall-Problematik ist in der Tat gegeben und nicht ganz harmlos.

    Was das Umdenken bei den Leuten vom ELTERN-Magazin angeht: Hat jemand Lust, der Redaktion unabhängig nochmal zu schreiben? Obwohl ich ein weiteres Mal bei Frau Lotz nachgefragt habe, glaube ich nicht mehr, dass eine ernstzunehmende Antwort zu erwarten ist. Aber wer weiß, vielleicht lässt sich die Redaktion zu einem Statement hinreißen. Ich kanns mir nicht so recht vorstellen ...

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  8. Es ist viel schlimmer: selbt die TECHNIKER (!) Krankenkasse bezahlt diese völlig abstruse "Heilkunst". Auf Anfragen gibt es keine Antwort.

    Aber solange der Gesetzgeber all dies nicht nur zulässt, sondern mit eigenem Arzneibuch unterstützt, ist es schwer zu argumentieren.

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