Mittwoch, 11. August 2010

Untergang des Abendlandes: Pestizidrückstände auf Strauchbeeren

Greenpeace erklärte Ende Juli aufgrund einer hauseigenen Untersuchung, dass Strauchbeeren aus konventioneller Landwirtschaft gesundheitsgefährdende Rückstände von teilweise illegalen Pestiziden aufweisen würden. Politisch korrekte Bio-Produkte seien dagegen pestizidfrei gewesen.

 BVL und BfR nahmen sich der Meldung dann bald an und das BfR folgerte aus den Daten der Greenpeace-Untersuchung:
Von den Pestizidrückständen in Johannisbeeren, die in einer von Greenpeace veranlassten Untersuchung nachgewiesen wurden, geht kein gesundheitliches Risiko für Verbraucherinnen und Verbraucher aus. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) teilt hier die Einschätzung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). „Die Bewertung der gemessenen Pestizidrückstände durch Greenpeace entspricht nicht den Kriterien einer wissenschaftlichen Risikobewertung“, sagt BfR-Präsident Professor Dr. Dr. Andreas Hensel. So legt die Umweltschutzorganisation ihrer Bewertung unrealistische Verzehrsmengen zugrunde. Sie geht davon aus, dass ein Kind sein Leben lang täglich 500 Gramm Johannisbeeren verzehrt.
Von einer Grenzwertüberschreitung könne gar nicht die Rede sein, so das BfR weiter. Die entsprechenden Grenzwerte würden nicht einmal zu einem Prozent ausgeschöpft, selbst wenn man unrealistischerweise alle Pestizidgehalte aufaddieren würde (wie es Greenpeace in seiner Untersuchung gemacht hat). Zu den illegalen Pestiziden hat Greepeace ein wichtiges Detail verschwiegen: Die beanstandeten Substanzen sind zwar in der Tat für den Johannisbeer-Anbau nicht zugelassen, jedoch für andere Feldfrüchte. Die Gehalte in den getesteten Beeren sind so gering, dass es sich als Ursache für die Rückstände ohne weiteres um Verwehungen von einem benachbarten Feld handeln könnte.

Was ist dazu zu sagen?

Dass die Greenpeace-Studie methodisch mangelhaft ist, ist eine Sache. Was mich aber wirklich ärgert, ist das Schüren von diffusen Ängsten vor chemischen Substanzen in der Bevölkerung, die quasi nichts über Pestizide, deren Grenzwerte und Wirkungen weiß: laut einer vom BfR durchgeführten Umfrage-Studie gehen 70% der Befragten davon aus, dass gar keine Pestizidrückstände auf Lebensmitteln vorhanden sein dürfen. Niemand will „Gift“ in seiner Nahrung haben, und schon gar kein chemisches! Das Anprangern von Giften, und ganz besonders von illegalen und krebserregenden Substanzen ist schön plakativ und eine gute Möglichkeit, sich zu profilieren. Ich habe das Gefühl, diese Uninformiertheit der Bevölkerung wird gezielt ausgenutzt und es wird sogar Desinformation betrieben, um die grüne Ideologie zu popularisieren. Das ist ganz genauso, wie in der Verbreitung von Schreckensmeldungen über die hochgefährliche grüne Gentechnik.

Die Greenpeace-Meldung wurde dann auch bald von den Mainstream-Medien aufgegriffen: Spiegel Online oder auch der Stern käuten die Pressemitteilung weitestgehend unreflektiert wieder und wiesen auf die angeblichen gesundheitlichen Gefahren hin. Besonders sauer aufgestoßen ist mir ein Artikel in dem „Wissenslog“ Öko-logisch? welcher mit Gift-Cocktail-Saison betitelt wurde. Autor Björn Lohmann, Wissenschaftsjournalist, fand: „Wer diesen Sommer Cocktails lieber ungiftig genießen möchte, der muss wohl weiterhin zu Bioobst greifen.“ Nachdem ich diese Einschätzung in den Kommentaren als unrealistisch kritisierte, bemerkte Lohmann: „Ökologisch wichtige Maßnahmen setzen sich leider oft erst dann durch, wenn die Masse der Menschen damit Vorteile für Geldbeutel oder Gesundheit verbindet“ – die Leute werden also für dumm verkauft, damit sie ökologisch wichtige Maßnahmen unterstützen. Hier geht es nicht um Aufklärung über reale Gefahren. Es werden Schreckensszenarien aufgebaut, die „der Guten Sache“, nämlich der Schaffung eines ökologischen Bewusstseins in der Bevölkerung, dienlich sein sollen. Mit einem Wort: Propaganda.

Dabei ist diese Angst vor „der Chemie®“, was die Gesundheit angeht, irrational und unbegründet, und das aus zwei Gründen. Erstens, unterscheidet sich ein Gift natürlichen Ursprungs prinzipiell nicht von einem Gift synthetischen Ursprungs. Eine Substanz, die in Lebensmitteln vorkommt und möglicherweise toxikologische Wirkungen hat, muss unabhängig von seiner Herkunft charakterisiert und bewertet werden. Dies findet in auf nationaler Ebene in Deutschland und auf EU-Ebene durch die zuständigen Zulassungsbehörden statt. Sowohl die Grenzwerte von zwar natürlichen, aber krebserregenden Schimmelpilzgiften dürfen ganauso wenig überschritten werden, wie Pestizid-Grenzwerte. Zweitens muss man angesichts des Fakts, dass Pflanzen a priori eine Menge von krebserregenden Giften enthalten, die Rolle von synthetischen Rückständen differenzierter betrachten. Ihre Menge ist bei Einhaltung der gesetzlichen Grenzwert  im Vergleich zu den endogenen Giften so verschwindend gering, dass sie nicht die Rolle bei der Krankheitsentstehung spielen, die ihnen landläufig zugeschrieben wird. So spielt die größte Rolle bei der Krebsentstehung beim Menschen immer noch die Ernährungsweise, gefolgt vom Tabakkonsum und Infektionen.

Der europäische Lebensmittelmarkt ist so streng kontrolliert und reguliert, dass es sehr schwierig ist, die Verbraucher aus Profitgier zu vergiften. Wir brauchen keine „grüne Ideologie“, die die Agrar- und die Lebensmittelindustrie verteufelt. Was wir brauchen, ist eine möglichst neutrale Bewertung der Risiken, die von bestimmten Nahrungsmitteln ausgehen. Am wichtigsten scheint mir aber die Aufklärung der Bevölkerung zu sein, wo die echten Gefahren liegen: Nicht von synthetischen Rückständen und industriellen Zusatzstoffen, sondern von einer fettreichen, einseitigen Ernährung ohne frische Früchte und Gemüse.

10 Kommentare:

  1. Guter Beitrag, danke. Ich kann nicht verstehen, warum Scilogs Lohmann eine Plattform bietet. Mit Wissenschaftsjournalismus hat das was er betreibt nicht viel zu tun.

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  2. Es ist leider in der Ökoszene weit verbreitet, dass man aus den richtigen Motiven heraus genau das Falsche tut. In dieser Beziehung ist Greenpeace mit ihren Stunts meistens ganz vorne dabei.

    Dagegen anzukämpfen ist leider nicht einfach. Die Komplexität der wirklichen Welt lässt sich leider nicht so leicht in einen knackigen Slogan pressen wie Dogma. Deswegen wird in der Regel etwas Plumpes wie "keine Chemie in unserer Nahrung" leichter beim (oft nur halbinteressierten) Adressaten ankommen als ein "aber genau genommen [1000 Worte gelöscht...]".

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  3. Auf direktem Weg in die Hölle:

    Erklär mal einem Naturfreund, dass "Bio" mehr Schaden anrichtet, als "konventionelle" Landwirtschaft.

    Ganz deutlich wird das am Wein und seiner Wahrheit:

    http://www.swr.de/im-gruenen-rp/-/id=100810/nid=100810/did=5304192/13pmyie/index.html

    "Kupfer im Weinbau
    Das Dilemma der Ökowinzer"

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  4. Mit Verlaub @anonymus, anhand des Kupferbeispiels den Ökolandbau gar schädlicher als den "konventionellen" zu bezeichnen ist doch genauso fern der Realität wie die simplen Gleichungen Natur=gut; Chemie=böse.

    Mein Linktipp zu diesem Thema:
    http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/2936.pdf

    Im "konventionellen" Anbau ist es halt vor allem der Hopfen, wo das Kupfer landet.

    .Und plädiere für eine Entideologisierung (--> "auf direktem Weg in die Hölle." Oioioi) beider Seiten. :)

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  5. Das meiste Kupfer bringt immer noch der konventionelle Anbau auf den Acker, das stimmt. (Davon ab kapier ich nicht, warum gerade ein Schwermetall „Bio“ ist ...)

    Ich finde auch, dass die Bio-Bewegung ein paar richtige Impulse gesetzt hat und die „nachhaltige“ Erzeugung von Lebensmitteln auch in die öffentliche Dikussion geraten ist. Integrierter Landbau ist wohl ein guter Ansatz, um das beste aus den beiden Welten zu vereinen.

    Im Artikel ging es aber eher um die gesundheitlichen Aspekte, und das Spiel mit den Ängsten. Was da abgeht, ist Kundenverdummung.

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  6. @ Wu Wei

    Dein Linktipp hat schlappe 329 Seiten. Zitier doch grad mal die wichtigsten Daten.

    Steht da auch irgendwas von Alternativen zu Kupfer? Ich vermute mal, moderne, bioabbaubare Fungizide sind in der "Bio"-Landwirtschaft tabu. Von Gentechnik erst gar nicht zu reden.

    "Und plädiere für eine Entideologisierung": vergräbst du vielleicht Kuhhörner nach dem Mondkalender, unideologisch?

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  7. @Martin
    Na ja, Cu als Spurenelement wär doch irgendwie Bio (vielleicht funktioniert so die Rechtfertigung primär über den Gesundheitswahn als über die Bodenökologie)...aber bevor derart belastete Böden als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet werden lieber wieder on topic :) ...

    Ja, Aufklärung ist wichtig in diesem Bereich. Hoffentlich lesen
    auch möglichst viele derer, die sich vor allem von ihren Ängsten leiten lassen diese(n) Artikel hier. (Generell sehr feiner Blog!)

    @anonym

    S. 100ff: 4.7 Einsatz von Kupfer als Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft: ca. 300t Cu "konventionell" vs. ca 20t "Öko" (Auf die Fläche geschaut: 17,5kg/ha "konventionell" vs. 11 kg/ha "Öko")

    Wie Martin so schön schreibt, wär wohl ein integrativer Anbau eine Möglichkeit, damit wir alle wieder nur auf einer Welt leben :)

    Aber was genau in meiner Antwort auf deinen Kommentar ließ dich die Möglichkeit in Betracht ziehen, ich könnte ein Steiner-Jünger sein?

    Mein Ideologie-Alarm bei deinem Post läutete konkret an zwei Stellen: "Auf direktem Weg in die Hölle:[...]" und "[...]dass "Bio" mehr Schaden anrichtet, als [...]".
    Wenn das nur ironisch gemeint war: nichts für ungut. :)

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  8. Nun ja, ganz so undifferenziert darf man die Pestizid-Untersuchungen leider auch nicht stehen lassen. De facto ist es so, daß die deutsche Lebensmittelüberwachung leider immer nur Stichproben an Lebensmitteln untersuchen kann. Und daß sie dabei auch nicht aufgrund von bestimmten Verdachtmomenten gezielt untersucht. So werden leider nur kleine Stichproben analysiert und obwohl die Überwachung selbst zum Teil die problematische Ware kennt tritt diese nicht in Erscheinung. Neben diesem grundlegenden Problem gibt es in der Tat Grenzwerte. Allerdings beziehen sie sich ausschließlich auf einzelne Pestizide. Momentan wird gerade in der Fachwelt intensiv diskutiert wie ein Gemisch verschiedenster Pestizide zu bewerten und einzustufen ist.

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  9. Als Chemiker nehme ich die übertriebenen und unsachlichen Ängste in der Bevölkerung vor dem "C-Wort" halb amüsiert halb entsetzt wahr.

    Dass an sich wichtige Organisationen wie Greenpeache (aber auch andere wie Foodwatch) auf diese und ähnliche Weise ihre Glaubwürdigkeit opfern ist wirklich tragisch.

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  10. Ich habe den Beitrag wohl zwischenzeitlich aus Versehen im Entwurfsbereich abgelegt, wodruch er nicht merh öffentlich war. Ich bitte um Enstchuldigung, falls es irgendwelche Irrtationen gegeben haben sollte ...

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